Talent – Schicksal – Lebenswerk

Ein Name ist untrennbar mit Wendt & Kühn verbunden: Olly Wendt (geb. Sommer). Am 15. Februar 1920 begann sie als Kunstgewerblerin in der Manufaktur. In über 60 Jahren sollte sie als Gestalterin ihre kreativen Spuren in der Geschichte von Wendt & Kühn hinterlassen. Zahlreiche Figuren unseres Sortiments, wie die Margeritenengel, Tierfiguren oder die Mondfamilie, tragen ihre unverwechselbare Handschrift. Anlässlich des 100-jährigen Firmeneintritts bei Wendt & Kühn zeichnen wir den Weg einer besonderen Frau und begnadeten Designerin.

Im Interview mit Marlis Rokitta.

Die Historikerin und Germanistin betreut als wissenschaftliche Mitarbeiterin seit drei Jahren bei Wendt & Kühn das umfangreiche Archiv der Manufaktur.

Was erwartet den Besucher in der Ausstellung?

In der mittlerweile sechsten Sonderausstellung in Grünhainichen rücken wir mit Olly Wendt erstmals eine Person in den Fokus. Doch wer jetzt denkt, es seien dadurch nur wenige Figuren zu sehen, der irrt sich. Ganze 183 Exponate werden in der Ausstellung gezeigt, darunter 50 zum Teil noch nie der Öffentlichkeit präsentierte Figuren. Wir zeichnen den Lebensweg einer großartigen Gestalterin nach. Dabei wird sichtbar, wie stark das private Leben mit dem Alltag in der Manufaktur verbunden war. Wir wagen eine Rückschau auf die Kindheit und Jugend von Olly Sommer in Riga, schauen auf eine spannende Lebensphase im Studium in Dresden und verfolgen ihren Weg nach Grünhainichen. Auf ein herausragendes Detail möchte ich an dieser Stelle eingehen. Es handelt sich um einen im Original enthaltenen Brief vom 8. Februar 1920, den Olly von Grete Wendt erhalten hatte, eine Woche vor ihrem Arbeitsbeginn bei Wendt & Kühn. Die darin formulierte Hoffnung, dass ihr die Arbeit Freude bereiten solle, erfüllte sich.

Und obendrein fand Olly auch ihr privates Glück, aus dem mit den Kindern und Kindeskindern die Generationen geboren wurden, die bis heute die Geschicke der Manufaktur leiten.

Das Kapitel um Liebe und Verlust ist ein emotional sehr bewegender Teil der Ausstellung. Olly entwirft in dieser Zeit u.a. Figuren, die stellvertretend für besondere Lebensereignisse stehen, so das Zwillingspärchen oder die Brokatengel. Beleuchtet werden auch die Etappe nach dem Zweiten Weltkrieg und ihre Tätigkeit zu DDR-Zeiten. Die emotionale Belastung durch den Verlust von ihrem geliebten Mann und Vater der Kinder sowie die zunehmenden Einschränkungen in der Privatwirtschaft, die letztlich in der Verstaatlichung der Manufaktur mündeten, prägten die zweite Lebenshälfte von Olly Wendt und werden auch in ihrem Spätwerk deutlich.

Vor welcher besonderen Herausforderung standen Sie bei der Konzipierung dieser Ausstellung?

Personalausstellungen sind immer Gratwanderungen. Und hier ganz besonders, denn diese Sonderschau ist dem Leben und Werk der „Omi“ unserer heutigen Komplementäre gewidmet. In deren Auftrag und mit ihrer Unterstützung diese Ausstellung konzipieren zu dürfen, sehe ich als einen großen Vertrauensbeweis, der zugleich die erste Herausforderung beschreibt. Entspricht meine Interpretation der Exponate dem, was Familienangehörige und viele Menschen im Umfeld der Manufaktur, die Olly Wendt kannten und die eine besondere Beziehung zu ihr pflegten, erlebt haben? Ich durfte ihre Persönlichkeit anhand von Dokumenten kennenlernen. Fotos, Briefe und persönliche Gegenstände ermöglichen Eindrücke von ihrem Charakter,

aber man darf nicht nur deuten und interpretieren, sondern muss sich auch an Fakten halten. Mit der Ausstellung verknüpft sich der Anspruch, einer Person gerecht zu werden, ihren Charakter nachzuzeichnen in verschiedenen Facetten, während gleichzeitig die Geschichte der Manufaktur parallel ihren Lauf nahm und stark durch Olly Wendt beeinflusst wurde. Dieses Zusammenspiel war eine weitere Herausforderung. Deshalb wäre es die größte Freude für mich, wenn Menschen, die sie noch zu Lebzeiten kannten, nach dem Ausstellungsbesuch sagen können, dass sie „ihre“ Olly wiedererkannt haben.

Wie beschreiben Sie Olly Wendt in der Ausstellung?

Ich habe sie bei meinen Recherchen als sehr lebensfrohe Frau wahrgenommen. Gerade in den 1920er und 30er Jahren, nachdem sie nach Grünhainichen gekommen war und die Zeit mit Johannes Wendt und ihren Kindern als Familie verbringen konnte, waren sicher ihre glücklichsten Jahre. Ihre Kreativität wurde davon geradezu beflügelt. Sie entwarf in den Jahren sehr viele Figuren zu zahlreichen Themen.

Nach dem Verlust von Johannes Wendt wurden ihre Züge melancholischer, doch sie blieb immer positiv und voller Hoffnung. Das lässt sich in zahlreichen Briefen nachvollziehen. In denen war sie mitfühlend und besorgt um die Adressaten, erkundigte sich stets nach Gesundheitszuständen der Freunde und Familienmitglieder, denen sie schrieb, und bot ihre Hilfe und ihren Beistand in allen Lebenssituationen an. Gerade aus solchen Dokumenten lässt sich eine große Warmherzigkeit ableiten. Zudem war sie eine sehr fleißige Frau. Aus Gesprächen mit der Familie ist mir bekannt, dass sie täglich pünktlich um sechs Uhr ihren

Dienst in der Malerei antrat. Das bestätigen auch die Dokumente im Firmenarchiv, nach denen sie ihren letzten Arbeitstag im Alter von fast 87 Jahren absolvierte.

Privat war sie künstlerisch interessiert. Sie malte und zeichnete, sie spielte Klavier und sie liebte die Blumen. Sie las viele Bücher und schrieb vor allem in ihrer zweiten Lebenshälfte selbst Gedichte, in denen sie auch schwermütigere Gedanken verarbeitete. Übrigens war das ein Hobby, dessen Umfang auch engeren Familienmitgliedern bisher kaum bekannt war. Wenn sie nicht selbst schrieb, sammelte sie die Schriften von Philosophen und Gelehrten und schöpfte daraus sicher auch geistige Kraft und Freude. Rückblickend habe ich bei der Ausstellungsvorbereitung eine sehr sympathische und starke Frau kennenlernen dürfen. Ich hoffe, dass die Ausstellung genau das auch widerspiegelt.