Olly Wendt, geb. Sommer

Ein Name ist untrennbar mit Wendt & Kühn verbunden: Olly Wendt (geb. Sommer). Am 15. Februar 1920 begann sie zunächst als Kunstgewerblerin in der Manufaktur. Was als ein Praktikum begann, sollte zu einem gestalterischen Lebenswerk in Grünhainichen wachsen. In über 60 Jahren hinterließ Olly als Gestalterin ihre kreativen Spuren in der Geschichte von Wendt & Kühn. Zahlreiche Figuren unseres Sortiments, wie die kunstvollen Reichbemalten Engel, die Margeritenengel, Tierfiguren oder die Mondfamilie, tragen ihre unverwechselbare Handschrift. Erfahren Sie mehr über das Leben einer besonderen Frau und begnadeten Designerin.

Kindheit, Jugend, Ausbildung

Olga Sophie Emilia Sommer, kurz Olly genannt, wurde am 27. Mai 1896 als jüngstes von fünf Kindern in Riga geboren. Zusammen mit ihrer Familie wohnte sie in einer großen, bürgerlich eingerichteten Wohnung am Nikolai- und Basteiboulevard am Stadtkanal.

Besonders mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder Herbert fühlte sie sich eng verbunden. „Wir waren unzertrennlich und dafür bekannt. Alles wurde gemeinsam gemacht“, beschrieb Olly einst das innige Geschwisterverhältnis. Wenn sie sich nicht gerade mit Herbert beim selbst erdachten Spiel „Teufelchen“ vergnügte, widmete sich Olly schon als kleines Mädchen den schönen Künsten – sie zeichnete, spielte Klavier und verfasst später eigene Gedichte.

Ende Juni 1913 siedelten die Sommers nach Deutschland über und bezogen eine Wohnung in Dresden. Warum die Familie Riga verließ, kann heute nicht eindeutig geklärt werden – vielleicht zog es den Vater, in Sachsen geboren, nach seiner Pensionierung zurück in die alte Heimat oder man folgte dem älteren Bruder Herbert, der bereits in Dresden studierte. Vielleicht war es aber auch ein Zusammenspiel verschiedenster Umstände – vielleicht auch gesellschaftspolitischer Natur –, die den Entschluss bewirkten. Fest steht jedoch, dass es für die Tochter, die sich mit ihrer Geburtsstadt sehr verbunden fühlte, kein leichter Schritt war.

Von der Mode zum Holzkunsthandwerk

Im September 1915 schrieb sich Olly für einen Kurs in der Dresdner Filiale der Berliner Zuschneide-Akademie ein. Damals hätte man ihr vermutlich eher eine Zukunft in der textilen Gestaltung vorhergesagt, zumal sie auf diesem Gebiet recht talentiert schien. Das Abschlusszeugnis bescheinigt ihr im Januar 1916 Bestnoten: „Schnittzeichnen, deutsche, englische und französische Form: besonders gut; Maßnehmen, Berechnen der Stoffe, Farbenharmonie: sehr gut“.


Auch noch während ihres Studiums an der Staatlichen Kunstgewerbeschule (ehemals Königlich-Sächsische Kunstgewerbeschule) besuchte sie einen Handnähkurs. An die Gestaltung von Holzfiguren war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken, ihr Interesse galt zunächst dem Modedesign. So schrieb sie sich auch im September 1917 in die Fachklasse für Mode an der Staatlichen Kunstgewerbeschule Dresden ein – unter der Leitung von Professorin Margarete Junge, bei der auch Firmengründerin Grete Wendt zehn Jahre zuvor studiert hatte.

Kreativität und Wirken

Am 15. Februar 1920 folgte Olly der Empfehlung ihrer Professorin und kam als Praktikantin zu
Wendt & Kühn nach Grünhainichen. Zuvor hatte sich Grete Wendt mit einem Gesuch um kreative Verstärkung an ihre frühere Lehrerin gewandt, denn mit dem Ausscheiden der zweiten Firmengründerin Grete Kühn nach deren Heirat fehlte nun eine geschickte Malerin und Gestalterin.

Eine Woche vor Ollys Arbeitsbeginn teilte ihr Grete Wendt in einem Brief noch die wichtigen Informationen mit:

 

„Sehr geehrtes Fräulein Sommer! Ich denke, dass Fräulein Junge Sie von meinem Schreiben unterrichtet hat. Ich habe jetzt ein Zimmer für Sie erwirkt bei einer Wirtin, Frau Schuhmachermeister Krehan. (...) Die Wohnung steht Ihnen sofort zur Verfügung, sodass Sie am 15.2. Ihre Tätigkeit hier beginnen könnten.“ Sie schloss mit den Worten: „Ich würde mich freuen, wenn Sie sich gut einarbeiteten und Freude an Ihrer Tätigkeit hier finden würden.“

 

Und wie sie Freude an ihrer Tätigkeit fand! Obwohl sie zunächst nur ein Praktikum für ein einziges Jahr im Sinn hatte, sollte sie ein Leben lang bleiben. „Dieser junge Betrieb hat mich so sehr gefesselt – er wurde mir zum Schicksal“, wird Olly viele Jahre später an eine Freundin schreiben.

Die ersten Figuren ...

denen sich die frisch gebackene Absolventin widmete, waren die „Lippersdorfer Engel“, für die sie eine neue Bemalung erarbeitete. Es folgte die kunstvolle Verzierung von Figuren, deren Form Grete Wendt entworfen hatte. Olly verlieh ihnen durch eine reiche Ornamentik einen besonderen Charakter. Diese war sogar namensgebend, wie zum Beispiel für die reich bemalten Engel.

Die Künstlerin wird in den Folgejahren auch eine Vielzahl eigener Figuren entwerfen:  Margeritenengel, Tierfiguren, die Mondfamilie…

Liebe und Verlust

In Grünhainichen entdeckte Olly jedoch nicht nur die Liebe zum figürlichen Gestalten, auch den Mann fürs Leben fand sie in dem kleinen Erzgebirgsdorf. Sie verliebte sich in Grete Wendts Bruder Johannes, den kaufmännischen Leiter von Wendt & Kühn.

Im heutigen Sprachgebrauch würde man die Bilder von Olly und Johannes aus einem Album von 1925 wohl als moderne „Foto-Lovestory“ bezeichnen – lassen die Bilder doch das Knistern erahnen, das bereits Mitte der 1920er Jahre in der Luft gelegen haben muss, als die beiden turtelnd durch den Garten der Manufaktur streiften. Die Heirat am 19. Februar 1930 krönte die Verbindung der Liebenden. Noch im gleichen Jahr erblickten die Zwillinge Hans und Sigrid das Licht der Welt.

Im September 1945 nimmt das Leben der Familie eine dramatische Wendung: Das Familienglück wird vom Verlust des Ehemannes und Vaters überschattet. Johannes geriet in russische Gefangenschaft, aus der er nie heimkehren sollte. Einmal noch hatte Olly die Gelegenheit, Johannes nach seiner Verschleppung zu sehen. Er war in ein Außenlager von Buchenwald gebracht worden, und Olly hat versucht, ihm Winterkleidung ins Lager zu bringen. Wohin ihn sein Weg dann führte und wie sein Leben auf tragische Weise endete, blieb viele Jahre ungewiss – eine schier unerträgliche Situation für die Familie. Aus Angst, auch noch ihre Kinder zu verlieren, schickte Olly ihren Sohn Hans zu Drechslermeister Gebhardt Heinz nach Waal ins Allgäu, wo er als Flüchtling aufgenommen wurde und eine Lehre als Drechsler absolvieren konnte. Sigrid folgte ihrem Bruder wenige Monate später.

Von dem unendlichen Schmerz und der Hoffnung, ihren geliebten Ehemann doch eines Tages wiederzusehen, zeugen drei Brokatengel, die Olly 1945/46 als ein Wiedersehensgeschenk für ihn entwarf. Auch ihr Brief zu Hans‘ 22. Geburtstag – sieben lange Jahre waren seit Johannes‘ Verschwinden vergangen – legt Zeugnis ab von Ollys immerwährender Zuversicht: „Und liegt seit dem Jahre 45 der dunkle Schatten über dem Engelhaus, so wollen wir doch immer wieder aufs Neue gläubigen Herzens die Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung mit Vati nicht aufgeben. Diesen Wunsch setze ich heute all den andern Wünschen für dich, mein lieber nun schon so großer Junge, voran.“ Erst im Oktober 1962 sollte Olly die offizielle Benachrichtigung erhalten, dass Johannes am 7. Dezember 1945 im russischen Internierungslager Tscherepowez verstorben war.

„Arbeit ist ein Segen“

Ablenkung, wenn nicht gar Trost, fand Olly in den schicksalhaften Jahren in ihrer Arbeit. Ihr ganzes berufliches Leben stellte sie in den Dienst der Manufaktur. Auch nach der Verstaatlichung Wendt & Kühns im Jahr 1972 blieb sie Angestellte, nun jedoch beim Volkseigenen Betrieb Werk-Kunst. Ihre Trauer über die Enteignung verarbeitete sie in dem Gedicht „Es ist das Gleiche, und ist es nicht“, das mit den Zeilen „Nur dies allein ist, was mich traurig stimmt, und viel jetzt von der Freude nimmt“ endet. Ihrer Kreativität kann die staatliche Leitung glücklicherweise nichts anhaben, ihr künstlerisches Schaffen wird sogar vom Kulturbund der DDR ausgezeichnet. Eine besondere Wertschätzung ihrer Arbeit wird ihr 1988 zuteil, als ihr der Warenzeichenverband Expertic die Ehrenplakette für ihre Verdienste verlieh.

Neben den Entwürfen für die Kollektion der Manufaktur gestaltete die Künstlerin auch immer wieder ganz persönliche Figuren für Freunde und Familienmitglieder. Zudem hatte sie eine Vorliebe für das Bemalen alltäglicher Gegenstände wie Kaffeedosen oder Kosmetikschachteln, um sie an Freunde oder Gäste zu verschenken.1980 beschrieb die inzwischen 84-Jährige in einem Brief, wie sehr ihr die Arbeit am Herzen lag, auch noch im hohen Alter:

„Ich bin dankbar und zufrieden, dass ich es so noch kann, denn: Arbeit ist ein Segen“.


Am Morgen des 28. April 1983 betrat sie zum letzten Mal die Malstube, in der sie über 60 Jahre lang ihre kreativen Spuren in der Geschichte von Wendt & Kühn hinterlassen hatte. Am 13. Juni 1991 schloss Olly für immer die Augen. Nicht ohne als tiefsinniger, feinfühliger und warmherziger Mensch, als liebevolle Ehefrau, Mutter und „Omi“ und als großartige Gestalterin für alle Zeit in Erinnerung zu bleiben. Persönliche Erinnerungen an ihre „Omi" teilte Claudia Baer in einem Interview, welches Sie hier lesen können.