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9 Speisen, 4 Generationen und 1-malige Weihnachtsmomente

19. Dezember

Ich habe in eine Familie eingeheiratet, in der am Heiligen Abend das traditionelle erzgebirgische „Neinerlaa“ (Neunerlei) gegessen wird.
Fluch oder Segen? Um ehrlich zu sein: Zunächst eher Fluch, weil die Zubereitung von immerhin neun Speisen natürlich auch unheimlich viel Stress bedeutet. Doch mit jedem neuen Jahr wurde es mehr zum Segen, nun genieße ich es richtig und kann mir nichts Schöneres vorstellen, als
in die zufriedenen Gesichter zu blicken, wenn es allen schmeckt.

Damit pünktlich 18 Uhr alles dampfend auf dem Tisch steht, schließe ich mich ab mittags in der Küche ein. Allein, denn bekanntlich verderben ja viele Köche den Brei beziehungsweise das Neunerlei. Erst wenn es an das Auspressen der geriebenen Kartoffelmasse für die Klöße geht, fordere ich meinen Mann an. Nach und nach nehmen neben den Klößen dann auch Bratwurst, Sauerkraut, Linsensuppe, Entenbraten und Semmelmilch Gestalt an. Zusammen mit Brot, Butter und Salz stehen sie für Wünsche wie Gesundheit, Geld oder Liebe. Die Anzahl der Menüteile ist natürlich namensbedingt festgelegt, ihre Auswahl kann jedoch regional und vor allem von Familie zu Familie sehr unterschiedlich sein.

Während ich schließlich kurz vor 18 Uhr in der Küche zur Höchstform auflaufe, deckt der Rest der Familie den Tisch ein. In diesem Jahr werden erstmals vier Generationen daran Platz nehmen. Wenngleich mein Enkel diesmal noch nicht in den Genuss des Festtagsessens kommen wird.
Mit seinen neun Monaten hält er sich lieber an sein „Dreierlei“, den Kartoffel-Fleisch-Gemüse-Brei. Doch im nächsten Jahr führen wir ihn natürlich ebenfalls in guter alter Tradition in die Welt des Neunerleis ein.

Und wer nun glaubt, wir hätten nach Weihnachten vom Neunerlei erst einmal genug, der irrt: Weil’s so schön war, am Silvesterabend gleich
noch einmal.

Christiane Schubert
Malerin bei Wendt & Kühn